die Bibliothek

Ich starrte Nikki, die nun auf dem Boden saß, einen Moment an, ehe ich mich ebenfalls in die Hocke gleiten ließ und dann, die Beine ausgestreckt, neben sie an das Regal lehnte. Auf ihre Frage hin schnaubte ich. "Und wie." meinte ich einfach. Ich warf ihr einen Blick zu. Nikki hatte den Kopf auf die Arme gelegt und wirkte alles andere als glücklich, wie sonst eigentlich immer. "Willst du es einem Außenstehenden erzählen?" fragte ich, rechnete ehrlich gesagt aber nicht damit, dass sie irgendetwas sagen würde. Ich war irgendwie einfach nicht der ... Seelenklempner-Typ. Mein Handy klingelte erneut, und schnell drückte ich auf SMS zeigen, um den Klingelton abzustellen. Noch bevor ich die SMS richtig las, stellte ich erst einmal den Ton ab. Doch ich würde die SMS erst lesen, wenn Nikki geantwortet hatte.

Es war zu viel. Zu viel Druck. Zu viel Schweigen. Vorbei. Ende.
"Ich bin schwanger..." BÄNG!
"... von Marcas..." BÄNG!
"... und er weiß nichts davon." BÄNG!
Sie lachte unter Tränen.
"Viel mehr gibt es da nicht zu erzählen..."

Eine kurze Weile saßen wir schweigend nebeneinander. Doch dann änderte sich etwas. Nikki begann zu erzählen. Kurz und knapp, ohne weite Erklärungen. Sie schilderte ihre Situation, mehr nicht. Aber was für eine. Ich sah sie mit neuen Augen an. Ein junges Mädchen, ein neues Leben im bauch tragend, vollkommen überfordert mit dieser Situation. Ich hatte mit Cleo ein-, zweimal über Kinder geredet und war immer froh gewesen der Kerl zu sein. Der, dem das hier eben nicht passieren konnte. Ich suchte nach Nikkis Blick. "Willst du, dass er es weiß?" fragte ich ruhig. Mein Handy steckte ich jetzt ganz weg, jetzt musste Dragon warten.

Panisch riss Nikki die Augen auf. "Keinesfalls! Niemals!", keuchte sie und hielt sich entrückt den Kopf. "Er... ich... ich hab vom Arzt die Unfruchtbarkeit bescheinigt gekommen und jetzt... und jetzt bin ich schwanger..." Sie lachte atemlos und deprimiert. "Ich könnte niemals abtreiben... Vielleicht ist es meine letzte Chance?"

Ich nickte, als Nikki meinte er solle es nicht erfahren. "Du magst ihn ..." stellte ich mit einem schwachen Lächeln fest. Nicki versuchte zu retten was zu retten war, indem sie es ihm verschwieg. Aber vielleicht machte sie so mehr kaputt, als sie dachte? Als Nikki erzählte, dass der Arzt sie für unfruchtbar erklärt hatte, zog ich eine Augenbraue hoch. Wie ist das möglich? fragte ich mich. Sollte sie sich nicht freuen, von den Umständen mit Marcas und ihrem Alter abgesehen, dass der Arzt Unrecht gehabt hatte? Gerade wollte ich fragen, wie Nikki über eine Abtreibung dachte, da äußerte sie, dass dies für sie nicht in Frage kam. "Du wirst es nicht ewig geheim halten können." sagte ich leise. Innerlich gab ich mir eine Ohrfeige. Meine Äußerungen waren so hilfreich wie die Farbenlehre für Blinde. Entschuldigend blinzelte ich Nikki an.

"Ich weiß", murmelte sie und es war unergründlich, auf was genau sie nun antwortete. "Aber das ist nicht mal alles...", stöhnte sie gequält auf und rieb sich über die Stirn. "Ich hab ihm gesagt, dass das alles mit... mit uns nichts Ernstes war und ich einen anderen habe!" Von sich selbst schockiert, ließ sie sich nach hinten kippen und knallte unsanft mit dem Kopf auf den hölzernen Fußboden. "Au..."

Ich sah Nikki verdutzt an. Mädchen konnten Situationen auch immer noch verschlimmern. Ich beugte mich über Nikki und runzelte die Stirn. "Alles okay?" fragte ich besorgt. Ich setzte mich neben sie und dachte nach, musste das Ganze im Kopf noch einmal zusammen fassen. Nikki hatte bemerkt, dass sie schwanger war, obwohl der Arzt sie für unfruchtbar erklärt hatte. Daraufhin hatte sie sich abgekapselt und Marcas erzählt sie hätte einen Neuen, damit er sie in Ruhe lässt. Was ja geklappt zu haben schien. "Ich nehme an du hast ihn ganz schön arg verletzt." Ich verzog den Mund. "Aber wird er nicht mitbekommen, dass du immer alleine rumhängst?" äußerte ich meine Bedenken. Mir kam eine Idee und ich beugte mich wieder über Nikki. "Du ... könntest mit uns, also der Clique, rumhängen und ..." Die Idee war verrückt. Ich wusste nicht recht, ob ich es aussprechen und vorschlagen sollte. "... Und sagen ... ich wäre ... dein Neuer?" Verlegen blinzelte ich, wandte den Blick aber nicht ab. Es war meine Idee gewesen, jetzt musste ich dazu stehen.

Sie blinzelte. Einmal. Zweimal. Dann begann es. Ganz minimal. Ein kleines Zucken der Mundwinkel. Es wuchs. Zu einem Strahlen. Heller als die Sonne. "Danke! Danke, danke, danke!", lachend fiel sie Seth um den Hals. Sie hatte ein Stück ihres Ichs zurückgewonnen, dachte sie und strich sich mit Tränen in den Augen über den Bauch. Und der Rest, der würde auch noch werden...

Etwas hilflos drückte ich Nikkis zarten Körper an mich. Als ich mich von ihr löste, strahlte sie wieder. So sah sie wesentlich hübscher aus. Ich grinste. "Na das kann ja was werden in den nächsten Tagen, Wochen." meinte ich amüsiert. Dann erinnerte ich mich an mein Handy. "Du, ich muss weg. Wir sehen uns ja sicher später, Schatz." Ich betonte das letzte Wort extra und zog die Augenbrauen hoch. "Kommst du zurecht? Willst du vielleicht mikommen?"

"Ja. Lass mich jetzt nicht allein... Bitte...", sie lächelte, doch in ihren Augen stand Angst. Seth war nun ihre Zuflucht. Und sollte sie ihn auch nicht lieben, er war ihr Vertrauter, ihr Freund. Sie teilten sich ein Schicksal und sie würde Seth dafür nie genug danken können. Lächelnd schob sie ihre Hand in seine. "Also, wohin geht's?"

Ich lächelte. "In die Cafeteria zu Dragon." erklärte ich. Ich las noch einmal die letzte SMS von ihm und zog eine Augenbraue hoch. "Er will letzte Sachen für den Junggesellenabschied klären." Ich griff nach Nikkis schmaler Hand und zog sie mit mir aus der Bibliothek, während ich ihr von Dragons und meinem Plan als Stripper aufzutreten, erzählte.

--> geht weiter in der: Cafeteria

"Ah, okay", grinste sie und dachte an den fröhlichen Asiaten. Sie mochte Dragon sehr, sie waren einfach auf einer Humor-Wellenlänge! Amüsiert lauschte sie den Beschreibungen Seths...

tbc: Cafeteria